Negative Folgen von Push
Die Realität sieht jedoch anders aus. Stellt ein Verkäufer nämlich fest, dass die Kunden vermehrt nach einem bestimmten Artikel verlangen, so bestellt er in der Regel nicht nur die verkaufte Menge, sondern auch eine Zusatzmenge als Reserve für zukünftig steigende Geschäfte. Eine ähnliche Reserve bildet der Disponent beim Zwischenhändler (Grossisten), bei dem die Bestellungen diverser Verkäufer eintreffen. Der Verkaufsmitarbeiter des Produzenten sichert sich, dem scheinbaren Markttrend folgend, noch einmal auf dieselbe Weise ab. Das Gleiche tut gegebenenfalls auch der Produktionsplaner des Herstellers. Mit anderen Worten: Ein Bestellungsvorgang, der über mehrere Stellen läuft, verursacht bei steigender Nachfrage überall unnötige und überproportionale Reservenbildungen bzw. bei vermeintlich sinkender Nachfrage einen stark verzögerten, stufenweisen Bestandesabbau.
Kleine Mengenveränderungen schaukeln sich so zu überproportional erhöhten Produktionsschwankungen auf. Beispielsweise beobachten wir mehrfach bei Projekten in der Konsumgüter-Industrie eine Aufschaukelung um den Faktor 15 bis 20.
Ein solcher Kumulationsvorgang verursacht nicht nur generell überhöhte Lagerbestände und damit teure Kapitalbindungen. Es entstehen auch regelmässig Lieferengpässe, weil entweder die gewünschten Artikel nicht in ausreichender Menge vorhanden sind oder die Produktion die falschen Artikel gefertigt hat beziehungsweise gerade fertig.
In der Folge sehen sich die Produktionsleiter gezwungen, so genannte »Feuerwehrübungen« anzuordnen. Natürlich mit allen negativen Begleiterscheinungen: Teure Überstunden, Terminjäger, Expresssendungen sowie Spezial- und Teillieferungen werden nötig, Terminverzögerungen treten auf, Produktions-Planungen werden ignoriert. Eine vermeintlich realistische und echte Nachfragebefriedigung wird dadurch nahezu unmöglich. Welchen Umfang dieses Problem angenommen hat, lässt sich anhand der Erhebungen der in Marietta GA ansässigen amerikanischen Colography Group Inc. verdeutlichen. Demnach sassen amerikanische Unternehmen Ende 1994 – neuere Zahlen liegen leider nicht vor – auf Inventaren mit einem Gesamtwert von 950 Mrd. USD. Im Jahr 1970 lag diese Zahl noch bei 200 Mrd. USD. Zwischen 1975 und 1994 sind die Inventarkosten, gemessen an den gesamten Kosten für die physische Distribution, um 88,5 % gewachsen. Die Spesen für die Lagerhäuser stiegen um 17,6 %. Dagegen sind die Transportkosten um 20,7 % gefallen.
Diese Zahlen widerlegen die allgemeine Erkenntnis, wonach die Verlader die Probleme beim Inventar-Management im Griff haben. Setzen sich die derzeitigen Trends fort, werden der Studie zufolge die Inventar- und Lagerkosten im Jahr 2010 über 70 % der Distributionskosten ausmachen. Die Bestandesvollkosten betragen heute in der Regel zwischen 20 bis 30 % pro Jahr des gelagerten Wertes! Daraus ist ersichtlich, dass es sich lohnt, diesen Bereich zu optimieren.